Der Mythos, es gäbe keine Grenzen
Ein weitverbreiteter Mythos in der heutigen spirituellen Szene ist, dass es keine Grenzen gibt. Dabei wird gerne auch auf unseren Planeten verwiesen mit einem Satellitenfoto der Erde aus dem All aufgenommen, verbunden mit der rhetorischen Frage „Ich sehe keine Grenzen, siehst du welche?“
Schon dieses Bild sollte erkennen lassen, wie manipulativ diese Frage ist und wie leicht sie sich widerlegen lässt. Die Erde wäre nicht die Erde, wenn sie keine Abgrenzung gegenüber dem sie umgebenden Raum hätte. Jedes Lebewesen, jeder Planet, jede Sonne unterscheidet sich von der Umgebung. Dabei gibt es immer Übergänge und Grenzbereiche. Die erste Grenze der Erde zum Kosmos ist ihr Magnetfeld. Wie wichtig dieser Puffer ist, zeigt sich daran, daß unser Bewußtsein und unsere Technik Gefahr laufen, durch die Teilchenströme der Sonne gestört zu werden, wenn das Magnetfeld schwächer wird. Dieter Broers und andere Forscher liefern dazu viele interessante Forschungsbeiträge.
Eine nächste Übergangszone ist die Atmosphäre, die zwar scheinbar nur aus Luft besteht, aber genauso in Grenzen und Schichten unterteilt ist. Bei leicht bewölktem Himmel kann jeder sehen, wie die Wolken an der Unterseite abgeflacht sind. Eine ambossförmige Gewitterwolke bläst sich soweit auf, daß sie an ihrer Oberseite an das nächste Plateau stößt. Ohne die Atmosphäre und ohne das schützende Magnetfeld hätte kein Leben auf der Erde entstehen können und wir als Menschheit könnten ebenfalls nicht existieren.
Eine ähnliche Erfahrung wie die geschichtete Atmosphäre können wir regelmäßig im Sommer machen, wenn wir in einem See schwimmen, der an der Oberfläche warm ist und in geringer Tiefe eine Sprungschicht aufweist, an der die Wassertemperatur urplötzlich abfällt. Obwohl es das gleiche Wasser ist, bildet sich eine Grenzschicht im Wasser mit unterschiedlichen Temperaturen.
Etwas vergleichbares zeigen uns die Meere und Flüsse der Welt immer wieder. Ich hatte ein eindrückliches Erlebnis, als ich mit einem Segelboot die Insel Rügen umrundet habe. Dabei sind wir ständig auf einer Wassermasse unterwegs gewesen, und doch waren die einzelnen Gewässer klar unterscheidbar. Die Ostsee hat eine andere Farbe, als der Bodden, ebenso, wie der Strom zwischen Hiddensee und Rügen anders aussieht. Auch auf dem Land sind wir ständig von Grenzen umgeben. Die Erdoberfläche wäre nicht die Erdoberfläche, wenn es keine Grenze zwischen Land und Wasser gäbe. Jede Pflanze besitzt eine Haut, mit der sie sich abgrenzt. Überhaupt kann Leben nur stattfinden, indem es sich abgrenzt und bestimmte Räume schafft. In meinem Buch „Das erwachte Herz“, habe ich ein paar Zeilen zum Thema Grenze allgemein und zu unseren eigenen Grenzen geschrieben. Diesen Absatz möchte ich hier einfügen, da er sehr genau beschreibt, warum Grenzen wichtig sind und wozu sie da sind:
„Das einfachste Symbol aus der heiligen Geometrie ist der Kreis Rund, ohne Ecken, alle Punkte des Kreisumfangs sind wie bei einer Diskussionsrunde am runden Tisch gleichberechtigt. Außerdem zeigt der Kreis eine weitere Eigenschaft: Sein Umfang ist wie eine Trennlinie zwischen dem, was innen ist, und dem, was außerhalb liegt. Sich abgrenzen zu können, ist die wichtigste Eigenschaft überhaupt. Nichts könnte existieren, ohne dieses Prinzip zu kennen und zu nutzen. Alles, was sich benennen lässt, hat eine Grenze, die Innen und Außen unterscheidet. Sei es die Schale eines Hühnereis, die Rinde eines Baumes oder ganz naheliegend, unsere Haut. Solche Membranen dienen ebenso der Abgrenzung wie der Identitätsfindung. Anders als eine feste, undurchlässige Mauer steht ein Zaun nicht nur als Symbol für die Abschottung, sondern gleichzeitig für den Austausch. Durch ihn wird bestimmt, was eigen ist und was draußen bleibt.
Grenzen begegnen uns jeden Tag. In der Straßenbahn, wo viele Menschen dicht gedrängt stehen, kommen sie uns schnell zu nahe und dringen in unsere Grenzen ein. Wenn ich dagegen einen Menschen liebe, möchte ich ihn gern näher bei mir haben und ihn spüren. Eine Grenze brauchen Sie auch dann, wenn ein Freund von Ihnen spielsüchtig ist und sich regelmäßig Geld von Ihnen borgt, ohne es je zurückzuzahlen. Ziehen Sie hier keine Grenze, wird er Sie mit in den finanziellen Ruin ziehen, ohne sich mit seinem Thema zu konfrontieren. Ein weiteres Beispiel: Unser Gehirn mit seinen Nerven ist so empfindlich, dass es durch eine Blut-Hirn-Schranke geschützt wird. Sie soll verhindern, dass Giftstoffe aus dem Blut die Nerven schädigen. Manche künstlichen Stoffe, wie der Geschmacksverstärker Glutamat, durchdringen diese Schranke und führen zu unangenehmen körperlichen Beschwerden.“
Leben kann immer nur dann entstehen, wenn es einen sicheren Raum hat. Diesen Raum schafft sich das Leben ständig selber, indem es eine Haut erschafft. Innerhalb dieser Haut bildet sich dann ein neuer Keim mit einer eigenen Identität, die ihn von der Umgebung abhebt. Bei der ersten Eizelle ist es die Zona Pellucida, in der das Embryo sich entwickelt. Im fertigen Menschen ist es seine Haut, die als Grenze zur Umgebung funktioniert. Neuere Untersuchungen zeigen nun, daß diese Grenzen bestimmten Maßen folgen. Mit ihren Abständen und Volumen bieten Zellen, Organe etc. Resonanzräume, in denen sich stehende Wellen der Lebensenergie ausbilden können. Wenn wir in einem Raum stehen, der sehr akustisch ist, hallt unsere Stimme von allen Seiten zurück. Der Schall resoniert mit dem Raum. In einem solchen Raum bilden sich stehende Wellen, die den Raum strukturieren in Wellenberge und Schwingungsknoten. In den berühmten chladnischen Klangfiguren hat Chladni gezeigt, das sich Materie vorzugsweise in den Schwingungsknoten ansammelt. Einer seiner Nachfolger, Alexander Lauterwasser, hat sehr schön gezeigt, wie Klangplatten in der Form von Schildkrötenpanzern oder Libellenflügeln durch Resonanz in einem geschützten Raum, hier der Platte, Muster erzeugen, die den natürlichen Strukturen sehr ähnlich sind. Der Aufbau des Schildkrötenpanzers konnte sehr klar reproduziert werden.
Eine solche Klangplatte besitzt auch eine Grenze, den Übergang vom Metall zur Umgebung. Würde diese Grenze wegfallen, würden sich alle stehenden Wellen und ihre damit verbundenen Muster auflösen. Ebenso stirbt ein jedes Lebewesen, wenn seine Haut zerstört wird, da die Kraft des Lebens nicht mehr resonieren kann und sich auflöst.
In der Blume des Lebens können die Kreise auch als Schallwellen des Urtones verstanden werden, die den ordnenden Klang des Universums darstellen und die Matrix bilden, auf der sich alle Phänomene abbilden. Die zwei Kreise um sie herum aber bilden überhaupt erst einmal den Resonanzraum dafür.